Greenland 2018

Worte der Glückseligkeit

Wir haben heute nach zwei recht windarmen und dafür wellenreichen Tagen endlich auch wieder passenden Wind zu den Wellenbergen, die LUNA schiebt sich mit 6-7 Knoten durch die kühlen Fluten. Laut Uli in Spitzen sogar mit 13,2 Knoten auf einer Welle surfend. Die Stimmung an Bord ist gut, wir lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und hören „Sailing Conductors“ über die Boxen. So mit unseren Guacamolebroten in der Hand fühlen wir uns gänzlich wohl hier mitten auf dem Nordatlantik irgendwo zwischen Grönland und Schottland.
Aus diesem Zustand völliger Zufriedenheit heraus möchte ich euch also gerne über den heutigen Morgen berichten, der so kaum in Worte zu fassen ist. Ich habe die Sonnenaufgangswache am Morgen abbekommen und so fällt es mir zu, zusammen mit Astrid als Standby diese frühen Stunden zu genießen, in denen sich die Welt meist von einer ganz eigenen Seite zeigt. So auch heute. Direkt voraus ging die Sonne in gleißendem orangerot hinter einer zerrissenen Schicht aus Haufenwolken auf und ließ die See vor uns in einem dunklen blau mit goldglänzendem Überzug erstrahlen. Die spritzende Gischt der hohen Wellenkämme sprenkelte diesen Hintergrund zeitweise geisterhaft mit einem dunstigen Schleier und die hohe Dünung schien ins Unendliche zu gehen. Von Achtern zogen immer wieder große Wolken wie bedrohlich dunkelgraue Schlachtschiffe auf, die starke Böen mit sich brachten und schlieren von Regen hinter sich herzogen und sich langsam vor die Sonne schoben. Für diese Momente wirkte die See fast schwarz, lediglich die sich brechende Gischt versah das Wasser mit weiß-türkisen Flecken. Mit jeder Wolke bildete sich in unserem Rücken ein neuer Regenbogen. Während die LUNA so mit gereffter Fock durch das Szenario glitt, tauchten plötzlich etliche Rückenflossen an Backbord aus den schwarzen Tiefen auf, die sich ihr in schnellem Tempo näherten. Mit den Wellen schoss da eine Delfinschule heran, Wasser umspritzte ihre Bewegungen und sie stürmten wir Reiter an einer Front unaufhaltsam voran um im nächsten Moment wieder unterzutauchen und aus einer völlig anderen Richtung zurückzukehren. Sie schossen mit ihren schlanken, starken Körpern über den Wellenkämmen aus dem Wasser, ganz so als wüssten sie, dass wir dort an Bord standen, bestaunten und uns selber ganz plötzlich behäbig und langsam fühlten. Wieder und wieder sprangen sie mit einem Flossenschlag in die Höhe und es wirkte dabei ganz so, als würden sie anstelle durch Wasser eher durch Wolken tanzen. Noch während Astrid heruntereilte um eine Kamera zu holen, verschwanden sie mit einem letzten Sprung in den Weiten der See.
Noch immer ungläubig staunend über das Geschehene steuerte ich die LUNA weiter gen Osten, Astrid hatte sich – von der Aufregung müde geworden – in die Sonne zum Nickern gelegt. Da tauchte plötzlich ein weiterer Besucher auf. Ein lautes Prusten ließ meinen Blick nach rechts schießen. Direkt neben dem Boot in ungefähr 5m Entfernung tauchte ein riesenhafter grauer Wal auf. Ich schrie auf, halb vor Schreck, halb vor Ungläubigkeit. Stück für Stück entblößte er von der Finne angefangen nach und nach den Rücken bis er mit einem kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse wieder in den Tiefen des Nordatlantiks verschwand und nur eine Spur sprudelnden Wassers zurückließ. Astrid war durch meinen Schrei hochgeschreckt, leider jedoch einige Sekunden zu spät, der Wal war unseren Blicken entschwunden. Ich musste laut lachen, diese Situationen sind oft so absurd, dass man sie – wohl auch dank der Kürze der Momente – kaum zu glauben vermag. Und gerade das macht sie jedoch so wunderschön. Es ist die ganz spezielle Magie einer Welt, die für das menschliche Auge meist unsichtbar bleibt. Wir sind Fremde hier, die auf der Oberfläche eines anderen Planeten reisen und durch diese Augenblicke – und das sind sie beileibe, lediglich einige Sekunden – Einblicke darein bekommen, was sich unter diesem Panzer aus schwarzblauen Wellen und Gischt verbirgt und uns auf unserer Reise umgibt und begleitet.

(Eshana, 02. September, Rockall Plateau (1100 m Wassertiefe))

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